Page 5 - Rheinfelder Woche - KW 47 - 2020
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DIENSTAG, 17. NOVEMBER 2020 INTERVIEW SEITE 5
«Grosskonzerne und KMU werden zum Freiwild!»
Die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) greift gemäss Tho- und USA orientiert. Der Gegen-
mas Fuchs, Kandidat der Gemeinderatswahlen in Bern sowie vorschlag ist jedoch schärfer
Präsident der SVP Stadt Bern und Geschäftsführer des Bun- ausgestaltet als in vielen Län-
des der Steuerzahler Schweiz, die Grundprinzipen unseres dern. Es ist wichtig, dass die-
Rechts- und Wirtschaftssystems an. 99 Prozent der Schweizer ser auf Verordnungsstufe noch
Unternehmen verhalten sich vorbildlich. Deshalb lehnt er die praktikabler ausgestaltet wird.
KVI, über die am 29. November abgestimmt wird, ganz klar ab.
Was passiert, wenn die KVI an-
Thomas Fuchs, Sie sind gegen obwohl gerade die Kirche von genommen wird?
die Konzernverantwortungs- Zwangssteuern von Firmen am Die Initiative schafft neue,
initiative (KVI). Was sind Ihre meisten profitiert. enorme Risiken für Unterneh-
Hauptargumente dagegen? men. Dies ist ein weiterer Punkt,
Thomas Fuchs: Das einzig gute Es ist doch für unsere Gross- der den Wirtschaftsstandort
ist der Titel: «Für verantwor- konzerne wie auch KMU selbst- Schweiz ebenso schwächt, wie
tungsvolle Unternehmen – zum verständlich, dass sie die Men- die gleichzeitig zur Abstim-
Schutz von Mensch und Um- schenrechte und internationa- mung gelangende Volksinitia-
welt». Die Konzernverantwor- len Umweltstandards im Aus- tive «Für ein Verbot der Finan-
tungsinitiative (KVI) ist extrem land respektieren! zierung von Kriegsmaterial-
und schadet der Schweiz er- Allerdings! Es ist für Schweizer produzenten». Man muss sich
heblich: Unter dem Deckman- Unternehmen eine Selbstver- vor Augen führen: Kein Unter-
tel von Solidarität und Verant- ständlichkeit, Menschenrechte nehmen ist gezwungen, sei-
wortung greift das Initiativ- und internationale Umweltstan- nen Sitz in der Schweiz zu be-
komitee die Grundprinzipien dards einzuhalten. Es ist zudem halten. Würden sich diese Kon-
unseres Rechts- und Wirt- auch eine Selbstverständlich- zerne aufgrund der schädlichen
schaftssystems an: Die Initia- keit, dass Schweizer Unterneh- Initiative aus der Schweiz zu-
tive schafft die Unschuldsver- men, welche dies unterlassen rückziehen, liesse sich ein Ab-
mutung (Stichwort: Beweislast- und damit Schaden anrich- stieg der Schweiz in die B-Liga
Umkehr) für unsere Firmen de ten, zur Verantwortung gezo- nicht mehr abwenden. Das Re-
facto ab. Kläger aus dem In- und gen werden. Schon heute haf- Bild: zVg sultat wären «portugiesische»
Ausland können damit künftig ten Schweizer Firmen für Fehl- «Die Initiative schafft neue, enorme Risiken für Unternehmen.» Verhältnisse bei uns – sei es bei
Schweizer Unternehmen ohne verhalten im In- und Ausland. den Spitälern, den Schulen und
Belege für ihre Schuld einkla- Es ist jedoch reine Polemik, Hilft die KVI wirklich Menschen ten beenden – dies dürfte vor al- den Strassen.
gen. Zudem sollen unsere Fir- wenn man traurige Kinderge- in Entwicklungsländern oder lem kleinere, lokale Lieferanten
men direkt auch für die Misse- sichter für eine billige Abstim- gibt die Initiative nur vor, Gutes treffen Interview: Corinne Remund
taten ihrer ausländischen Lie- mungskampagne missbraucht für die Menschen in aller Welt
feranten geradestehen – also und behauptet, man verseuche zu tun? Können Sie die Anliegen der ZUR PERSON
Verstösse, die nicht sie selbst bewusst Trinkwasser und ver- Schweizer Unternehmen schaf- Initianten dennoch nachvollzie-
gemacht haben. Die Initia- gifte Kinder. Gleichzeitig wählt fen in Entwicklungsländern hen? Thomas Fuchs ist gut vernetzt
tive macht unsere Grossunter- man einen heuchlerischen Ini- Tausende von Jobs, zahlen Selbstverständlich kann ich – und jahrelange Erfahrung in
nehmen, wie auch die kleinen tiativtitel, weil man die Stimm- Steuern und tragen Schweizer und ich wage zu behaupten je- der Politik:
und mittleren Betriebe (KMU), berechtigten bewusst in die Erfolgsmodelle – wie das Lehr- dermann – die Ziele der Initia- • Über 20 Jahre parlamen-
zum Freiwild für die ausländi- Irre führen will. Was wir nicht lingswesen – in die Welt hin- tive nachvollziehen. Die Instru- tarische Tätigkeit im Na-
sche Klage-Industrie. Auslän- unterstützen können, ist das aus. Entwicklungsländer schät- mente der Initiative sind jedoch tional-, Gross- und Stadt-
dische Anwaltskonzerne könn- schädliche Haftungskonzept zen Privatinvestitionen, denn extrem und schädlich. Zudem rat
ten gar auf Kosten der Steuer- der Initiative, das mit unseren mit Investitionen kommt auch möchte ich nochmals betonen, • Präsident der SVP Stadt
zahlenden Gratisklagen gegen Rechtsprinzipien bricht: Die In- Know-how ins Land und die dass es für die Schweizer Unter- Bern und der SVP Bümpliz
unsere Firmen einreichen. itiative verlangt eine weltweit wirtschaftliche Tätigkeit wird nehmen bereits heute eine • Geschäftsführer des Bun-
Aber: Kein Unternehmen ist beispielslose automatische Haf- angeregt. Die Initiative führt Selbstverständlichkeit ist Men- des der Steuerzahler BDS
gezwungen, seinen Sitz in der tung ohne Eigenverschulden hingegen zu einem Rückzug von schenrecht und Umweltstan- • Präsident seit über 25
Schweiz zu behalten. Man darf für Schweizer Firmen bezüglich Schweizer Firmen aus Entwick- dards einzuhalten – und auch Jahren in diversen sozia-
dabei nicht vergessen, dass al- des Verhaltens von eigenständi- lungsländern. Mit der Initiative dafür geradezustehen, falls ein len und ehrenamtlichen
lein die fünf grössten Konzerne gen Lieferanten. müsste ein Unternehmen si- Schaden passiert. Institutionen (Samariter-
dem Schweizer Fiskus jährlich cherstellen, dass es weder bei fahrdienst, Verband der
rund fünf Milliarden Franken Unsere KMU wären gemäss Ini- Tochterunternehmen noch bei Bundesrat und Parlament ha- Krankenmobilienmaga-
Steuereinnahmen einbringen. tianten von der Initiative ausge- sämtlichen Geschäftspartnern ben bei einem Nein der Initia- zine)
nommen. Stimmt das und wie und Zulieferern weltweit zu tive einen Gegenvorschlag aus- • Präsident der Philanth-
Schweizer Grosskonzerne wer- stark sind KMU davon betrof- Verletzungen von Menschen- gearbeitet, der die Anliegen der ropischen Gesellschaft
den von den Initianten als Übel- fen? rechten und Umweltstandards Initianten wie auch der Wirt- UNION Bern
täter bezeichnet, die unter an- Auch diese Behauptung der In- kommt. Das ist in bestimmten schaft berücksichtig. Unter- • Präsident der Schweize-
derem rechtsfreie Räume aus- itianten ist falsch. Hier gilt es Regionen, insbesondere in Ent- stützen Sie diese bundesrätli- rischen Vereinigung Pro
nützen etc. Ist das nicht etwas drei Punkte zu beachten: wicklungsländern, nicht mög- che Alternative und wieso? Libertate (gegr. 1956)
übertrieben? • Die Initiative sieht Erleich- lich. Entsprechend ist zu er- Gut ist, dass der Gegenvorschlag • Präsident des Parteiunab-
In der Tat, es ist übertrieben, terungen für KMU bei den warten, dass Unternehmen die grundsätzlich international ab- hängigen Informationsko-
wenn nicht gar gelogen. 99 Pro- Sorgfaltspflichten vor, nicht Zusammenarbeit mit bestimm- gestimmt ist und sich am An- mitees PIKOM (in Aarau)
zent der Schweizer Unterneh- aber bei der Haftung. Um ten Lieferanten in Risikogebie- satz der UK, der EU, Australiens
men verhalten sich vorbildlich. sich vor einer solchen Haf-
Es geht nicht an, dass wir ein tung zu bewahren, müssen
Haftungskonstrukt schaffen, so die KMU künftig belegen, Die Initiative
dass diese Unternehmen un- dass eine umfassende Sorg-
verschuldet enormen Klageri- faltsprüfung durchgeführt Die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Um-
siken ausgesetzt werden, nur wurde – so gibt es eben im welt» – bekannt als Konzernverantwortungsinitiative – verlangt, dass Unternehmen mit Sitz in
um einige schwarze Schafe zu Endeffekt keine Erleichte- der Schweiz die Menschenrechte und internationale Umweltstandards auch im Ausland respek-
bestrafen. Hinzu kommt, dass rungen für KMU. tieren müssen. Verletzt eine Schweizer Firma im Ausland diese Rechte, soll sie dafür haftbar ge-
sich Konzerne und Firmen in • Bei 80'000 Schweizer KMU macht werden können. Sprich: Menschen, die im Ausland von einer Schweizer Firma geschädigt
der Schweiz bereits heute nicht gibt es zudem überhaupt wurden, sollen hier auf Schadenersatz klagen können. Einzige Ausnahme von der Haftungsre-
in einem rechtsfreien Raum be- keine Erleichterungen, weil gelung: Wenn die Firma nachweisen kann, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen ist.
wegen. Schweizer Unterneh- sie im Risiko-Sektor tätig
men müssen sich an Gesetze sind. Das Parlament hat deshalb einen griffigen Gegenvorschlag erarbeitet, der Unternehmer ver-
halten und sie haften nach gel- • Zudem: Sobald ein KMU pflichtet, über ihr Engagement zu berichten. Für Kinderarbeit und Konfliktmineralien sieht er so-
tendem Recht bereits für Fehl- mit einem Grossunterneh- gar strengere Sorgfaltspflichten vor. Wer dagegen verstösst, wird bestraft. Der Gegenvorschlag
verhalten im In- und Ausland men einen Auftrag abwi- kann bei einem Nein der Initiative sofort umgesetzt werden – ohne langwierige Diskussionen im
– und auch für ihre Tochter- ckelt, wird das KMU von der Parlament. Die Schweiz würde auf einen Schlag zur weltweiten Vorreiterin im Bereich Unterneh-
gesellschaften im Ausland, so- Initiative erfasst, weil das mensverantwortung werden.
fern sie diese rechtlich kontrol- Grossunternehmen die ent-
lieren. Es ist bedenklich, dass sprechenden Auflagen über Weitere Infos:
sogar die Landeskirche bei die- Back-to-back Verträge wei- www.leere-versprechen-nein.ch
ser Lügenkampagne mitmacht, tergeben muss.