Page 3 - Lenzburger Woche - KW 17 - 2021
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DIENSTAG, 27. APRIL 2021 SEITE 3
FORTSETZUNG
Eigenen Lebensstil 18- bis 30- Jährigen am besten
weitergeben erreichen», so Hänny. «Wenn
Das Lebensgefühl, das die Ni- diese Zielgruppe im Internet Mit spitzer Feder …
kin-Macher weitergeben wollen, nach nachhaltigen Produkten
umfasst neben der Nachhaltig- sucht, ist die Chance gross, dass
keit, zu der auch die Verwen- ihnen Werbung von Nikin unter
dung von baumfreiem Papier die Nase kommt.» Auf den Bil- Entrümpeln war
und die Klima-Neutral-Zertifi- dern sind junge Leute in Nikin-
zierung von Produkt und Trans- Kleider in der Natur zu sehen – gestern – Shoppen
port gehören, eine soziale Kom- cool und sympathisch! Über 95
ponente. «Für die Produktion Prozent des Umsatzes macht ist heute!
der Lifestyle-Produkte wer- Nikin über seinen Onlineshop.
den Materialien wie Bio-Baum- Zudem verkaufen rund 120
wolle, aber auch Bambusviskose Shopp- Partner die Treeanies in Mit einem grossen Andrang läu- beruhigten Monaten dürsten viele
oder recycelte Kunstfasern ver- ihren Läden. Auch im Ausland teten Konsumenten den ersten nach ein wenig Exzess, notfalls
wendet. Dazu Gnehm: «Wir le- ist das Interesse an der fairen Tag nach dem Ende des zwei- auch via virtuellen Einkaufskorb.
gen sehr viel Wert auf ein gu- Mode aus Lenzburg gross. «Wir ten Laden-Lockdowns anfangs Psychologen liefern dazu plau-
tes Preis-Leistungs-Verhältnis. expandieren mit Onlineshops März ein. Lange Schlangen bil- sible Erklärungen für das gestei-
Für uns ist wichtig, dass die nach Deutschland und Frank- deten sich vor den Ikea-Stores, gerte Kundenbedürfnis während
Produkte qualitativ hochwertig reich», sagt Gnehm. dem Shoppi Tivoli in Spreitenbach der Krise: Kaufen sei ein Versuch,
sind, damit sie möglichst lang- und vor dem H&M an der Zürcher die Kontrolle zurückzugewinnen.
lebig sind. Nur so können wir Bild: @AndrineSchranz Noch viele Pläne Bahnhofstrasse. Auch die Pande- Der Bestellbutton als tröstender
von nachhaltigen Produkten Nikin war einer der ersten Brands, der für die Zukunft mie kann daran nichts ändern – Beweis, dass es auf dieser Welt
sprechen.» Gleichzeitig ist es Bäume pflanzen liess. Die Nikin AG, die letztes Jahr bei vielen ist das Shooping-Fieber noch Dinge gibt, die so funktio-
den beiden Unternehmer aber 13,4 Millionen Franken gene- ausgebrochen. Dies ganz nach nieren wie wir uns das vorstellen.
auch wichtig, dass die Produkte suchen regelmässig und halten riert hat und ihr Wachstum dem Motto «Entrümpeln, das war Ebenso ist der Kaufrausch ein Akt
bezahlbar sind. «Bei uns erhält dies auf unserem YouTube-Ka- selbst finanziert, will weiter- in der ersten Welle. Jetzt shoppen des Optimismus – wer sich jetzt
man für 35 Franken ein T-Shirt nal fest», so Gnehm. Das mitt- wachsen. Dies – auch wenn die wir». Ich, die ohne Einschränkun- mit elegantem Schuh eindeckt,
aus Baumwolle, das in Europa lerweile breitgefächerte Sor- eigenen Nachhaltigkeitsansprü- gen durchgearbeitet und vor Ort glaubt daran, dass es bald wie-
produziert wird. So können timent wird laufend um neue che und Vorgaben der vorwie- die Stellung gehalten habe, be- der Gelegenheit gibt, sich feinzu-
sich auch junge Menschen faire Kreationen ergänzt. Dazu sind gend jungen Kundschaft mo- komme nach dem Lockdown je- machen.
Mode leisten. Je mehr Menschen die beiden Jungunternehmer derate Preise bieten zu kön- weils einen Schub von Klaustro-
sich nachhaltige Produkte leis- und ihr Team in ständigem nen – ein steter Tanz auf dem phobie. Nur mit Mühe gewöhne Wir wollen also kaufen. Ist das
ten können, desto eher verzich- Austausch mit der Kundschaft. Hochseil ist. Bis jetzt haben die ich mich wieder daran, dass die schlimm? Nein. Die Wirtschaft an-
ten sie auch auf Fast Fashion», «Unsere Kundinnen und Kun- beiden Gründer dabei viel Fin- Einkaufsmeilen und Strassen nicht kurbeln und den gebeutelten De-
sagt Hänny. den geben uns jeweils sehr di- gerspitzengefühl, Schnelligkeit leergefegt sind. Momentan hat es taillisten unter die Arme greifen,
rekte Feedbacks zu den Produk- und starke Nerven bewiesen. überall Menschen. Da wird gestö- ist wohl das Beste, was wir tun
Kundschaft inspiriert uns ten. So können wir viel lernen Die beiden Mittzwanziger ha- bert, begutachtet, probiert, ent- können. Dabei gilt es auch nach-
Die beiden jungen Männer be- und unsere Produktepalette op- ben noch viele Ideen und Pläne deckt, gerempelt, gestresst etc. sichtig mit uns selbst zu sein. Die-
weisen das richtige Gespür für timieren und erweitern», weiss für die Zukunft: «Wir arbeiten Das kollektive «Packen wir`s an!» ser Frühling ist auch für mich –
neue Produkte – T-Shirt, Bade- Hänny. momentan an unseren eige- und Entrümpeln im letzten Früh- obwohl ich als Ordnungsfanati-
tücher, Mützen, Trinkflaschen nen Nachhaltigkeitsstandards. ling ist schon lange vorbei. Kleider kerin nicht meine Wohnung auf
etc., die bei Herstellern in ganz Die Geschäftsidee von Nikin Ebenso planen wir einen Pop- und Schränke sind ausgeräumt den Kopf gestellt habe, weil es
Europa produziert werden. «Der ging auf. Unter anderem dank up-Store in Lenzburg.» und der getaktete, überfrachtete schlichtweg nichts aufzuräumen
Herstellungsort ist jeweils trans- einer ausgeklügelten und cle- Alltag ist längst entschleunigt. Die gab – anders. Er symbolisiert das
parent auf der Webseite beim je- veren Marketingstrategie auf Corinne Remund Pause aus der Überflussgesell- Licht eines langen, dunklen Tun-
weiligen Produkt vermerkt. Wir den sozialen Medien. «So kön- schaft scheint vorbei zu sein. «Es nels. Und so liebäugle ich damit,
besuchen unsere Hersteller be- nen wir unsere Zielgruppe der www.nikin.ch geht auch ohne Konsum» – das meine vorwiegend schwarz, grau
war gestern! und dunkel gehaltene Garderobe
mit neuen, knalligen Farben auf-
Wenn Klassik und Folk sich küssen Viele sitzen in ihren aufgeräum- zupeppen. Corona zu verdanken
ten Wohnungen und schauen in sind auch die vielen Grünpflan-
ihre ordentlichen Schränke, aber zen und Sukkulenten, die meine
Die raffinierte Mischung nix» erleben. Mit von der Par- das Hygge-Gefühl will sich trotz- Fensterbank zieren. Der Gang
macht's! An der Lenzburgiade tie ist der Hackbrett-Virtuose dem nicht einstellen. Stattdes- ins Blumengeschäft war für mich
2021, die Mitte Juni stattfin- Nicolas Senn und zwei Risings- sen diese leichte innere Unruhe. aber viel mehr, als mir bloss eine
det, gehen Klassik und Folk tars aus dem Osten an der Ba- Dieses Gefühl, auf die Piste zu grüne Oase in der Stube einzu-
eine fröhlich-freche Verbin- laleika und dem Saxophon. müssen, etwas da draussen ver- richten. Sozialer Kontakt und Psy-
dung ein. Auch der Pianist Oliver Schny- passen zu können. Dabei helfen chohygiene standen dabei im Vor-
der lässt sich mit dem jungen auch die entschleunigenden «Ich- dergrund. Denn allein schon der
«Wohl zum ersten Mal über- «I Tempi»-Orchester und dem mach-was-mit-den-Händen»- Austausch und das Plaudern mit
haupt wird im aktuellen Festi- phänomenalen Trompeter Im- Dinge nicht mehr. Jetzt steht vie- der Floristin ist ein Höhepunkt im
val die Brücke zwischen Klassik manuel Richter auf einen musi- len, der «in den vier Wänden Ein- Corona-Alltag eines Singles. Un-
und Folk in jedem Konzert kon- kalischen Hexenritt ein. Ob der geschlossenen» – ich gehöre nicht ter demselben Kapitel abgebucht
sequent geschlagen,» erzählt jungen Saxophonistin Valen- dazu – der Sinn nach oberflächli- werden können auch die zahlrei-
das Intendanten-Paar Oliver tine Michaud, Preisträgerin des cher Zerstreuung. Und sei es ziel- chen Tulpensträusse, die ich mir
Schnyder und Fränzi Frick. Ein prestigeträchtigen Crédit Suisse los durch Geschäfte und Shop- gleich bundweise wöchentlich in
solcher Stil-Mix ist einzigartig, Bild: Lenzburgiade Young Artist Awards, kann man pingmeilen zu schlendern, Dinge die Stube hole. Corona macht ja
viele Programme entstehen ei- Konzert unter freiem Himmel: an der nur staunen. anzuschauen, die man sich nicht verheerend dumpf. Man lebt so
gens für die Lenzburgiade. Lenzburgiade Mitte Juni. leisten kann, respektive auf Pump dahin, nimmt überhaupt alles mit
«Flying Colors» im Städtli kauft. Also her mit dem Desig- viel Gelassenheit so hin. Die Tage
Zapfenstreich mit 75 dem wohl berühmtesten Sohn Die Lenzburgiade bringt aber nerhocker und der überteuerten fliessen ineinander zu einem einzi-
Aargauer Musiker/innen der Stadt Lenzburg: Pepe Lien- auch die Stadtmauern zum Be- Porzellanvase, und eine schicke, gen, klebrigen, unübersichtlichen,
Eröffnet wird das musikantische hard und seiner mitreissenden ben, denn auf dem Metzgplatz neue Hose für die Zeit nach dem sich ständig wiederholenden Co-
Fest mit dem Lenzburgiade-Zap- Bigband. wird getanzt und gesungen: das Homeoffice ist jetzt unabdingbar. rona-Teppich. Aber dann der
fenstreich. Auf einem organi- Über 250 Künstler und Künst- Las Migas Quartett aus Barce- Man schämt sich erst ein wenig – Farbtupfer: Tulpen und Primeln –
sierten Konzert-Spaziergang auf lerinnen stürmen und erobern lona mischt den Flamenco auf, hält man es wirklich ohne Konsum bunt, fröhlich, keck und hoff-
den «Gofi» (Goffersberg) überra- Mitte Juni die Bühnen zwischen das Rastrelli Cello Quartett trifft nicht aus? – und stellt dann fest: nungsvoll. Eben Frühling – Hoff-
schen rund 75 Aargauer Musike- den Schloss- und Stadtmau- auf die Klangexotik der Sitar, Anderen geht es ähnlich. Fragt nung, Optimismus. Die mildern
rinnen und Musiker an lauschi- ern: hochkarätige Solokünstler, und die «Insingizi – Voices of man im Bekanntenkreis nach, be- Temperaturen, die ersten Son-
gen Plätzchen mit speziellen Dar- Chöre, Bands, Ensembles und Southern Africa» vereinen sich richten viele von einer grossen, nenstrahlen auf der Haut sind das
bietungen. Für das festliche Er- Orchester. mit Kinderstimmen aus der Re- unbändigen Lust zu shoppen, und Pünktchen auf dem i für mich –
öffnungskonzert «Alpenglühn!» gion. Einfach phänomenal, das zwar nicht in erster Linie die prak- Corona hin oder her.
konnte die berühmte Opernsän- Zu entdecken: Balaleika, perkussive Klangfarbenspekta- tischen, nützlichen Dinge – vom
gerin Marie-Claude Chappuis ge- Saxophon und Hackbrett kel «Flying Colors» rund um die Grossverteiler haben wir die Nase Herzlichst,
wonnen werden, die fürs Leben Für einmal kann man das hei- Wiener Sängerin Lia Pale! voll –, sondern: Schönes, Luxuri- Ihre Corinne Remund
gerne auch Volkslieder singt. mische argovia philharmonic öses. Nach den langen zwangs- Verlagsredaktorin
Und die Schluss-Gala gehört im «Folk-Express Philharmo- www.lenzburgiade.ch