Page 13 - Zurzacher Woche - KW 47 - 2020
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DIENSTAG, 17. NOVEMBER 2020                                                                                                                                 SEITE 13







           Corona und die                                                                                    Bärentatze


           direkte Demokratie



           von Luzi Stamm


                                                                                      Bild: zVg
           Mit Corona wurden wir schlagartig mit  sischen Volksinitiative und dem Referen-
           einer Problematik konfrontiert, die sich bis  dum. Somit verordnete er dafür einen Fri-
           letztes Jahr niemand auch nur hat träu-  stenstillstand.
           men lassen. Neben all den Aspekten, die  Per 31. Mai 2020 wurde dieser Fristens-
           fast täglich in den Nachrichten stehen,  tillstand wieder aufgehoben. Der Bundes-
           wird die Seite «direkte Demokratie» meist  rat argumentierte, eine Verlängerung sei
           vergessen.                               nicht mehr gerechtfertigt; gleichzeitig ver-
                                                    fügte er bekanntlich eine ganze Reihe von   Stimmrechtsalter 16
           Unterschriftensammlungen sind            Lockerungen (so wurden z.B. die Restau-
           praktisch unmöglich geworden.            rants wieder geöffnet).                     Eine Kantonsratskommission im Kan-
           Schon bald nach Ausbruch der Pandemie                                                ton Zürich hat mit 8 zu 7 Stimmen be-    ZUR PERSON: Thomas Fuchs kan-
           sind zahlreiche Initianten von Volksinitia-  Der Bundesrat hat sich                  schlossen, das Stimmrechtsalter von      didiert für das Bürgerliche Bünd-
           tiven an den Bundesrat gelangt mit dem  massiv verschätzt                            18 auf 16 Jahre herabzusetzen. Das       nis (FDP, SVP) auf der Liste 1 am
           Antrag, die Sammelfristen müssten sis-   Bereits  in diversen  Aargauer Zeitungen    kann man sich ja bei einer Mehrheit      29.11.2020 für den Stadtberner Ge-
           tiert respektive unterbrochen werden. Sehr  vom 29. August 2020 wurde auf den        von Mitte-Links in einem städtischen     meinderat. Der ehemalige National-
           schnell hat sich gezeigt, dass das Problem  Frontseiten erneut gemeldet:  «Das Co-   Parlament noch vorstellen. Aber auch     rat und Grossrat ist Präsident der
           für alle Parteien von rechts bis links aktuell  ronavirus macht Volksinitiativen fast un-  der bürgerliche Zürcher Regierungs-  SVP Stadt Bern und Präsident der
           ist. Besonders schön hat sich das gezeigt  möglich». Nach und nach räumten auch      rat spricht sich für das Stimmrechtsal-  Berner Samariter, Geschäftsführer
           bei der Initiative «E-Voting-Moratorium»,  die Behörden ein, wie massiv sie sich ver-  ter 16 aus und auch auf Bundesebene    des Bundes der Steuerzahler und im
           lanciert durch Kreise, die befürchten, dass  schätzt haben. Von Lockerungen war nun   kommt das Thema ebenfalls wieder        Militär Oberst. Er ist in Bern gebo-
           bei einer Einführung der Möglichkeit, elekt-  plötzlich nicht mehr die Rede; jedermann   auf.                                 ren und aufgewachsen und Heraus-
           ronisch abzustimmen, die Möglichkeit ent-  hatte begriffen, dass wir uns in einer                                             geber der Zeitungen DIE IDEE und
           steht, dass Ergebnisse manipuliert werden  «zweiten Welle» befinden.                 Wie ist der Stand heute? Die Mün-        Bern-Aktuell.
           könnten.                                 Jedermann sieht, dass die leider zurzeit    digkeitsgrenze liegt im Schweizeri-
                                                    aktuelle «zweite Welle» der Neuinfektio-    schen Recht einheitlich bei 18 Jahren.   Mehr erfahren Sie unter:
           Aus dem Initiativ-Komitee schrieben Bal-  nen stärker ist als die erste zu Beginn des   Ab diesem Zeitpunkt ist ein Jugend-   www.fuchs.tv
           thasar Glättli («links-stehend»; grüne Par-  Jahres. Folgerichtig wäre es nur konse-  licher handlungsfähig, er kann unein-
           tei) und Franz Grüter («rechts-stehend»,  quent, wenn der Bundesrat eine neue Be-    geschränkt privatrechtliche Rechte er-
           SVP):  «Es gelten  (wegen Corona) Ab-    urteilung der Situation vornehmen würde     werben bzw. Pflichten eingehen. Ab
           standsregeln, Hygienevorschriften und  und wenn er bezüglich Volksinitiativen        diesem Zeitpunkt findet auf ihn grund-  ein für Jugendliche besonders attrak-
           Veranstaltungsverbote»,  bei all diesen  Massnahmen  treffen  würde,  die  weiter    sätzlich  das Strafgesetzbuch und  tives Medium – bietet nicht mehr nur
           Vorschriften sei das Sammeln nur «mit un-  gehen, als diejenigen anfangs 2020.       nicht mehr das Jugendstrafrecht An-    einfache und verständliche Informatio-
           verhältnismässig hohem Aufwand mög-                                                  wendung. Erst ab 18 Jahren ist es ei-  nen, sondern immer mehr auch Foren
           lich». (…). Das Sammeln sei «ein Murks,  «Lockdown» unserer                          nem Jugendlichen schliesslich er-      für politische Diskurse an (z.B. Blogs).
           (…) von selbst kommt niemand auf die  direkten Demokratie!                           laubt, das Autofahren zu erlernen. Ak-
           Sammler zu, die meisten weichen sogar  Um ein Modewort zu verwenden, wel-            tives und passives Stimm- und Wahl-    Die  Stimm-  und  Wahlrechtsgrenze
           aktiv aus. Und wenn jemand dann doch  ches zurzeit von den meisten Medien ver-       recht ab 18 Jahren reihen sich also in  bei 18 Jahren ist zudem auch objek-
           zu einem Gespräch bewegt werden kann,  wendet wird, könnte man im Moment von         diese von der Schweizer Rechtsord-     tiv sinnvoll. Das 17. und 18. Lebens-
           darf man sich nicht zu nahe kommen. Das  einem «Lockdown der direkten Demokra-       nung konsequent gehandhabte Alters-    jahr sind für die meisten Jugendlichen
           macht es schwierig, ein Anliegen zu er-  tie» sprechen. Es ist erstaunlich, wie wenig   limite ein: Mit 18 Jahren hat man alle  entscheidende Jahre zur persönlichen,
           klären. Was die Situation zusätzlich er-  in den Medien über diese Problematik be-   Rechte eines erwachsenen Menschen,  beruflichen und sozialen Eingliederung
           schwert: Anlässe, bei denen viele Unter-  richtet wird. Wir brauchen dringend einen   aber auch die entsprechenden Pflich-  in die Gesellschaft. In diesen beiden
           schriften zusammenkommen, finden nicht  neuen Fristenstillstand; oder noch besser,   ten. Es ist nicht einzusehen, weshalb  Jahren sammeln Jugendliche oftmals
           mehr statt.»                             eine unbürokratisch verfügte Verlängerung   eigens für das Stimm- und Wahlrecht  entscheidende  Lebenserfahrungen,
                                                    der Sammelfrist. Eine solche wurde z.B.     eine Ausnahme gemacht werden soll.     dank denen sie nicht zuletzt auch poli-
           Bundesbern verordnet Fristen ­           ausdrücklich von den Initianten der Volks-                                         tische Sachverhalte besser interpretie-
           stillstand                               initiative «Hilfe vor Ort im Asylbereich» ge-  Dass sich auch junge Mitbürger für Po-  ren und analysieren können.
           Der  Bundesrat  räumte  Mitte  März  ein,  fordert. Beim «Fristenstillstand» im Frühling   litik interessieren, sollte unser aller An-
           dass in der Tat ein Problem bestehe, wel-  hat der Bundesrat nämlich verfügt, dass in   liegen  sein.  Konsequente  Jugendför-  Fazit: Die Schweizerische Rechtsord-
           ches das Funktionieren der weltweit ein-  den damaligen 72 Tagen nicht gesammelt     derung ist aber Sache der politischen  nung bietet mit der Lösung Stimm-
           zigartigen Direkten Demokratie Schweiz  werden darf, was zu grossen bürokrati-       Parteien und kann kaum mit einer Her-  und Wahlrecht ab 18 Jahren eine faire
           existiere. Da ein Grossteil der öffentlichen  schen Schwierigkeiten geführt hat. In An-  absetzung des Stimmrechtsalters her-  und ausgewogene Lösung. Sie sollte
           Veranstaltungen gestrichen worden sei  betracht der drastischen Verschlechterung     beigefördert werden. Die Erwartung,  nicht mit wenig zweckdienlichem (aber
           und da der Kontakt auf der Strasse viel  der Situation sollte den betroffenen Organi-  wonach sich Jugendliche eher für Po-  medial umso wirksamerem) Aktivis-
           schwieriger geworden sei, seien die zwei  satoren von Initiativen und Referenden die-  litik zu interessieren beginnen, nur weil  mus durchlöchert werden.
           zentralen Elemente der direkten Demo-    ses Mal möglichst schnell, einfach und un-  sie bereits mit 16 Jahren ca. 4x jährlich
           kratie gefährdet, nämlich  die  Eidgenös-  bürokratisch geholfen werden.             ein Stimmcouvert im Briefkasten vor-   Meine Frage geht an die Jungsozia-
                                                                                                finden, ist reichlich übertrieben. An-  listen, die sich gerne als alleinige Ver-
                                                                                                sonsten müsste sich das politische In-  treter «der Jugend» und der «Klima-
                                                                                                teresse der Jugendlichen heute ab 18  jugend» aufspielen. Es dürfte selbst
          Wunscherfüllung in Pandemie-Zeiten                                                    Jahren sprunghaft erhöhen, was klar  den autofeindlichen Jungsozialisten
                                                                                                nicht der Fall ist.
                                                                                                                                       aufgefallen sein, dass den Jugendli-
                                                                                                                                       chen im Durchschnitt eher daran gele-
          In diesem aussergewöhnlichen Pande-       eine der ersten Persönlichkeiten, die       Im Übrigen sind politisch motivierte  gen ist, bereits mit 16 Jahren Auto fah-
          miejahr ist die Erfüllung von Herzens-    sich sofort bereit erklärten, beim Wun-     und interessierte Jugendliche nicht  ren statt abstimmen zu können. Dürfen
          wünschen wichtiger denn je. Mit viel      derlampe-Video Call mitzumachen. Die        einfach bis Ende des 18. Lebensjahres  wir bald in den Medien von der nächs-
          Herzblut und Energie hat die Wun-         Stiftung durfte auf die Solidarität Vieler   von der Teilnahme an der Politik ver-  ten JUSO-Initiative zur Einführung von
          derlampe alles daran gesetzt, eine Al-    zählen, um solche Online-Herzenswün-        bannt. Jungparteien bieten Jugend-     Lernfahralter 16 lesen – oder wiegt
          ternative zu physischen Wünschen          sche zu erfüllen: von Beatrice Egli über    lichen eine geeignete und attraktive  hier einmal mehr am Schluss doch die
          zu finden, um besonders gefährdeten       Wendy Holdener, Roger Federer, das Duo      Plattform, um sich frühzeitig politisch  grüne Ideologie stärker als Jugend-
          Wunschkindern während des Lock-           Divertimento, Nik Hartmann, Roman           zu engagieren. Gerade bei der Arbeit  freundlichkeit? Aber eben, konsequent
          downs und auch in den Folgemonaten        Bürki, Sänger Kunz bis zu Globi, Papa       in einer Jungpartei kann ein Jugend-   war man auf der linken Seite eh noch
          eine grosse Freude bereiten zu können.    Moll oder Delphinforscherin Angela Zil-     licher auch viel eher als bei der blos-  nie und wenn man neue Wählerinnen
                                                    tener. Bei den Wünschen im herkömmli-       sen Teilnahme an Abstimmungen und  und Wähler sucht, ist offenbar jedes
          Dass ein Gespräch am Bildschirm fast  chen Rahmen werden maximale Schutz-             Wahlen die Früchte und Ergebnisse  Mittel recht. Wenn Stimmrechtsalter
          ebenso grosse Emotionen und Freude  massnahmen für Wunschkind und Fami-               seiner Arbeit erkennen. Zudem ken-     16 nicht klappt, wird man es garantiert
          auslösen kann wie eine persönliche Be-    lie getroffen. Meistens handelt es sich bei   nen einige Städte (z.B. Bern und Lan-  auch wieder mit dem Ausländerstimm-
          gegnung, hätte die Stiftung Wunder-       den realisierten Wunschträumen um Er-       genthal) die Möglichkeit eines Jugend-  recht versuchen.
          lampe nicht zu hoffen gewagt. Ausge-      lebnisse in freier Natur.                          pd  postulates. Das Internet andererseits –
          rechnet ein Weltstar wie Anastacia war                      www.wunderlampe.ch
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