Page 9 - Zurzacher Woche - KW 27 - 2021
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DIENSTAG, 6. JULI 2021 SEITE 9
Politisches Konsumverhalten Schoop
in der Schweiz Beziehungen auf Augenhöhe
Am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) wurde das politische
Konsumverhalten in der Schweiz erstmals empirisch unter- Das Aus für das Rahmen-
sucht. Als erstes wurde mittels einer repräsentativen Umfrage abkommen mit der EU ist
das bewusste Vermeiden (Boykott) sowie das Kaufen (Buykott) eine gute Nachricht. Was die
von Produkten erhoben. In einer zweiten Umfrage wurden ve- Schweiz jetzt tun muss.
gan lebende Personen über ihren Lebensstil befragt.
Der Bundesrat hat die Ver-
handlungen über ein soge-
nanntes Institutionelles Ab-
kommen mit der EU nach
jahrlangem Seilziehen abge-
brochen. Das ist gut so. Die
ganze Übung war ein einziges
grosses Missverständnis. Die
EU wollte die Schweiz faktisch
ihrer Rechtsprechung unter-
werfen. Etwas anderes akzep-
tierte sie nicht.
Für unser souveränes Land ist
das ein absolutes No-Go. Wir
wollen Handelspartner sein,
aber nicht Part des supranati-
Bild: zVg
onalen politischen EU-Gebil- Dr. Adrian Schoop ist Unternehmer und FDP-Grossrat.
Veganer meiden gemäss Umfrage des ZDA hauptsächlich aufgrund ethischer, des. Wir wollen keine Unions-
ökologischer und sozialer Überlegungen tierische Produkte. bürgerrichtlinie und Schwei-
zer Sozialleistungen für alle zen bereits neue Pläne für schnell weggeben sollte. Die
Anhand dieser Umfragedaten pationsformen stark vertreten Europäer. eine stärkere Anbindung der Zahlung darf erst erfolgen,
wird deutlich, dass Boykott, ist. Aktuelle Analysen der poli- Schweiz an die EU. wenn die EU ihre diskriminie-
Buykott und Veganismus über- tischen Partizipation sollten da- Engagierte Unternehmer renden Praktiken einstellt.
wiegend politisch motiviert sind her solche nicht-institutionali- Dass der Bundesrat jetzt die Die freiheitlichen und liberalen
und als relevante Formen der sierten und individualisierten Stopp-Taste gedrückt hat, ist Kräfte müssen deshalb wach- Das Tor zur Welt steht offen
politischen Beteiligung verstan- Formen des politischen Enga- nicht zuletzt dem Engagement sam bleiben und mit Überzeu- Dass das Rahmenabkom-
den werden können. Diese ers- gements berücksichtigen, um von parteiunabhängigen Un- gung für ihre Ideen eintreten. men vom Tisch ist, hat noch
ten empirischen Beobachtun- ein realistisches und umfassen- ternehmern zu verdanken. Sie eine weitere positive Folge:
gen zum politischen Konsum des Bild der sich verändernden haben klargemacht, dass das Nicht die feine Art Es macht den Blick frei auf die
zeigen darüber hinaus, dass das politischen Beteiligungsmuster Rahmenabkommen zu weit Denn Tatsache ist: Die EU ist ganze Welt. Wir haben uns zu
politische Konsumverhalten im in der Schweiz zu zeichnen. geht, dass die Schweiz unab- genauso an guten Handelsbe- einseitig an Brüssel orientiert.
Vergleich zu anderen Partizi- pd hängig bleiben muss. ziehungen mit der Schweiz in- Damit ist nun Schluss. Mit
teressiert wie umgekehrt. Was weiteren Freihandelsabkom-
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie Damit haben sie – und das ist es jetzt braucht, ist eine Part- men nach dem Beispiel des
ein innenpolitisch nicht zu un-
nerschaft auf Augenhöhe.
Vertrags mit Indonesien kön-
• Von den befragten Personen der repräsentativen Umfrage gaben terschätzender Faktor – das nen wir unsere Wirtschaft und
59% an, regelmässig gelabelte Produkte bewusst konventionel- Anliegen aus der SVP-Ecke Daran muss sich die EU offen- damit das Wohlergehen von
len Produkten vorzuziehen (Buykott). Die überwiegende Mehr- herausgeholt. Die Freiheit und bar zuerst gewöhnen. Brüssel uns allen stärken.
heit davon (69%) führte regionale, soziale, ethische und ökologi- Unabhängigkeit der Schweiz hat bereits mit ersten Schika-
sche Überlegungen als wichtigsten Grund für dieses Kaufverhal- zu wahren – das ist definitiv nen auf den Verhandlungsab- Und was uns ohnehin nie-
ten an; die Produktherkunft wurde dabei als häufigster Grund für keiner Partei vorbehalten! bruch beim Rahmenabkom- mand nehmen kann: Wir kön-
die bewusste Produktwahl genannt, gefolgt von Bedenken be- men reagiert. Das ist sicher nen unsere Wettbewerbsfä-
züglichMenschenrechten sowie Tierwohl. Ist jetzt also alles gut? nicht die feine Art. higkeit selber steigern, indem
• Mit 36% gaben deutlich weniger Personen an, regelmässig Pro- Nein, das wäre ein Trug- wir die Rahmenbedingungen
dukte zu meiden (Boykott). Davon gaben jedoch 75% und somit schluss. Das Schlimmste ist Doch die Schweiz braucht für die Unternehmen verbes-
vergleichsweise deutlich mehr Personen politische Motive als zwar vorerst abgewendet, sich nicht zu verstecken. Mit sern. Tiefere Steuern, weniger
wichtigsten Grund für dieses Kaufverhalten an. Hier dominier- aber die Euroturbos aus al- der aufgeschobenen Kohäsi- Bürokratie, Pioniergeist und
ten die Bedenken bezüglich Tierwohl, Umweltschutz sowie Men- len Lagern haben noch längst onsmilliarde hat sie ein Pfand Mut zu Innovationen – das ist
schenrechte. Somit können 26% der Befragten als politische nicht aufgegeben und wäl- in der Hand, das sie nicht vor- der Schlüssel zum Erfolg.
Boykotter identifiziert werden.
• Auf der anderen Seite macht die empirische Analyse deutlich,
dass nicht alle Befragten aus politischen Beweggründen ein be-
wusstes Kaufverhalten ausüben. Dies trifft auf 33% der Buykot- Industrie- und Handelskammern wollen
ter und gut ein Viertel der Boykotter zu, für welche vor allem die
Pflege der eigenen Gesundheit, aber auch das Preis-Leistungs-
verhältnis eine Rolle spielt. trinationale Zusammenarbeit stärken
• Von den vegan lebenden Personen gaben 89% an, hauptsäch-
lich aufgrund ethischer, ökologischer und sozialer Überlegun- Um das ökonomische Potenzial der trinationalen Metropolre- strukturen im Hoch- und Ober-
gen tierische Produkte zu meiden. Der mit Abstand wichtigste gion am Hoch- und Oberrhein voll auszuschöpfen, muss die rheinraum geeinigt. Darin sind
Grund für die Entscheidung, vegan zu leben, ist hier die Vermei- trinationale Zusammenarbeit intensiviert werden. Die Indus- 20 prioritäre Projekte für die vier
dung von Tierleid sowie Tiertötung (71%). trie- und Handelskammern am Hoch- und Oberrhein haben Verkehrsträger Luft, Schiene,
• Für den Entscheid, vegan zu leben, spielt ebenfalls die Pflege der deshalb konkrete Massnahmen im Bereich Verkehr und Arbeit Wasser und Strasse von grenz-
Gesundheit eine Rolle. Dieser Grund wurde von 11% der befrag- verabschiedet. überschreitender Tragweite be-
ten Veganer als wichtigstes Motiv genannt. zeichnet. Im Weiteren wurde
• Insgesamt zeigt sich, dass rund 50% der Befragten aus politi- Kürzlich trafen sich die Spit- nutzt werden können. Das heisst die Situation der Grenzgänge-
schen Motiven Produkte bewusst kaufen und/oder meiden, so- zen der Industrie- und Handels- aber auch, dass Herausforderun- rinnen und Grenzgänger disku-
wie 89% der Veganer aus politischen Motiven tierische Produkte kammern am Hoch- und Ober- gen und Massnahmen, beispiels- tiert. Mehr als 60’000 Pendle-
meiden, und somit als politische Konsumenten bezeichnet wer- rhein zu ihrem jährlichen Aus- weise beim Verkehr, koordiniert rinnen und Pendler überqueren
den können. Der politische Konsum stellt somit eine relevante tausch in Basel. Die Präsidentin- angegangen werden müssen. hier täglich eine Grenze, um zur
Form der unkonventionellen politischen Partizipation dar. nen und Präsidenten sowie die Deshalb haben die Teilnehmen- Arbeit zu kommen. In einem ge-
• Frauen neigen signifikant häufiger dazu als Männer, Produkte Direktorinnen und Direktoren den des Spitzentreffens eine Re- meinsamen Brief an die zustän-
aus politischen Gründen zu boykottieren und bewusst zu kau- diskutierten, wie sie den trina- solution zur kooperativen Wei- digen Behörden der EU bitten
fen. Die Daten zeigen gleichzeitig, dass dies nicht allein dar- tionalen Wirtschaftsraum weiter terentwicklung der grenzüber- die Industrie- und Handelskam-
auf zurückgeführt werden kann, dass Frauen häufiger einkau- fördern können. schreitenden S-Bahnen verab- mern deshalb, dass bei der Über-
fen gehen. Es wurden starke Hinweise gefunden, dass der Ge- Die besondere Situation des schiedet. arbeitung der entsprechenden
schlechtsunterschied zusätzlich durch geschlechtsspezifische Dreilands schafft immense öko- Ebenso haben sich die Teilneh- Verordnung die Arbeitszeitquote
Unterschiede in der Persönlichkeit erklärt werden können. nomische Chancen, die durch menden auf ein gemeinsames im Homeoffice flexibel ausgestal-
intensive Zusammenarbeit ge- Zielbild für die Verkehrsinfra- tet wird. pd