Page 3 - Lenzburger Woche - KW 29 - 2022
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DIENSTAG, 19. JULI 2022                                                                                                                                      SEITE 3






                                                   FORTSETZUNG

          Zum Zweiten sei das Image des
          Handwerkerberufs  bei  jungen
          Leuten nicht besonders gut.                                                                           Mit spitzer Feder …
          «Je mehr ein Beruf mit Körper-
          arbeit, Kraft und schwieligen
          Händen verbunden ist, desto
          tiefer der Status der Person, die                                                                                       Das Glück
          ihn ausübt», so Stamm. Gerade
          die heutige, von den Social Me-
          dia beeinflusste Generation su-                                                                                         liegt vor
          che extrem nach Anerkennung
          und Bestätigung. Es ist auch ein
          gesellschaftliches Problem, was                                                                                         der Haustüre
          für einen Stellenwert die ver-
          schiedenen Berufe haben. Das                                                          Bild: © Adrian Ehrbar
          sitzt in den Köpfen der Leute  Impressionen vom KMU-Event in der Schoop + Co. AG zum Thema Handwerker-  Die Pandemie macht Pause  essant sein. Was ich aber ei-
          fest.                            Innen-Mangel                                                         und die Reiselust von Herrn  gentlich sagen wollte: Wir su-
                                                                                                                und Frau Schweizer ist grös-   chen unser Glück manchmal
               Wertschätzung und           finden. Und auch in den Fa-      dem baut er die Abteilung So-       ser denn je – es ist geradezu  viel zu weit weg.
           Quereinstiegsmöglichkeiten      milien das Image des Hand-       laranlagen auf. Matzelt schliesst   ein Reisefieber ausgebro-
          Wie kann man Fachkräfte ge-      werkerberufs wieder mehr an  demnächst die Polierschule ab.          chen. Kaum waren die ersten  Reisen ist die Metapher fürs
          winnen und halten? Stamm  Bedeutung gewinnen. «Wir ver-           «Unsere Arbeit ist schön, ab-       Lockerungen in Kraft, stürm-   Leben – vom Geburtskanal bis
          präsentiert Auszüge aus einer  lieren viele Leute, die eigent-    wechslungsreich und wir wer-        ten Armeen von Reisewütigen  zur letzten grossen Reise, die
          ETH-Studie.  Wenn  ein  Beruf  lich viel besser positioniert wä-  den wertgeschätzt», meinen          Strände, Berge und Seen. Rei-  durch den Tunnel zum Licht
          Arbeitsvielfalt zeigt und we-    ren, wenn sie in einer höheren  beide und wirken glücklich. Zu-      sen hat noch nie zu meinem  und damit zu Gott führen soll.
          nig  Automatisierung,  gibt  es  Berufsbildung wären», meint  dem seien sie in einem Unter-           Hobbie gehört – mein Bewe-     Aber  wahr  ist  auch:  Das  Le-
          seltener  Berufswechsel. Der  sie. Weil heutzutage Menschen  nehmen mit einem tollen Fami-            gungsradius ist eher klein und  ben glänzt zu Hause, oder es
          Wunsch nach Vereinbarkeit  nicht mehr 30 bis 40 Jahre im  lien-Spirit angestellt, bestätigen          ich weiss nicht, wenn ich zum  glänzt nirgendwo. Nun ist das
          mit der Familie ist grösser ge-  selben Beruf blieben, müsse es  sie die Worte von CEO Adrian         letzten Mal die Landesgren-    Fernweh einmal in der Welt,
          worden.  Auch  die  Wertschät-   auch vermehrt Quereinsteiger-    Schoop. Dieser sieht die Krise      zen überquert habe. Viele von  das Reisen, die Lust auf Aben-
          zung ist enorm wichtig und  programme geben.                      auch als Chance: «Ich denke         uns fahren in die Ferien oder  teuer und Entdeckung scheint
          wird  von  der  jungen  Genera-                                   durch den Fachkräftemangel          wandern gar aus auf der Su-    uns Menschen innezuwohnen
          tion sogar noch vor dem Lohn           Durch den Mangel           wird das Handwerk wieder sei-       che nach Sandstränden und  – denn so alt wie die Mensch-
          genannt. Ein gutes Klima in der      steigt der Stellenwert       nen sprichwörtlichen golde-         stahlblauem Meer. Doch ha-     heit ist das Nomadentum.
          Firma, wie es die Schoop + Co.  In der von Katia Röthlin gelei-   nen Boden bekommen und an           ben wir in der Schweiz nicht
          AG hat, ist wichtiger denn je.  teten Podiumsdiskussion kom-      Bedeutung gewinnen. Endlich         schon alles, was wir brau-     Ich reise oft und jeden Tag:
          Stamm empfiehlt, dass jeder  men  die  Schoop-Mitarbeiter  merkt die Öffentlichkeit wie-              chen? Reisen öffnet den Ho-    Aber eben anders: Ich reise zu
          Betrieb die Arbeitsbedingun-     Thomas Zbinden und Janick  der, wie wichtig Handwerkerin-            rizont und lässt einen viele  mir selbst, innerlich, in meinen
          gen für seine Mitarbeitenden  Matzelt sowie Joachim Lorch,  nen und Handwerker für einen              Dinge in einer neuen Rela-     Träumen.  Die  schönsten  Rei-
          reflektiert, um die «Haltekraft»  CEO & Delegierter des Verwal-   reibungslosen Alltag sind. Ihre     tion sehen. Aber das tun Do-   sen sind für mich, mit all mei-
          zu stärken. Und zudem mehr  tungsrates der Hächler-Gruppe,  Leistungen werden besser be-              kus auch, und die machen  nen wunderbaren Büchern in
          berufsbegleitende Weiterbil-     zu Wort. Lorch plädiert wie  zahlt, und sie bekommen den             den ökologischen Fussab-       die Welt der Geschichten und
          dungen nutzbar gemacht wer-      Schoop für flache Hierarchien.  Stellenwert, den sie eigentlich      druck nicht zu «Sie benötigen  Mythen einzutauchen. Hier er-
          den. Bezüglich Akademisie-       Zbinden ist erst seit zwei Jah-  schon seit langem verdienen.»       2,5 Erden». Reisen ist teuer  lebe ich unendlich viele Aben-
          rung müsse ein Wandel in den  ren bei Schoop und bereits                                              und anstrengend, und man  teuer: Ich reise zum Mond
          Köpfen der Gesellschaft statt-   Teamleiter der Spenglerei. Zu-                  Ursula Burgherr      ist in Ländern unterwegs, wo  und zurück – durch Epochen
                                                                                                                man die ganze Zeit hofft, es  und verschiedene Zeitalter, so
                                                                                                                möge nichts Unvorhergese-      dass  Vergangenheit, Gegen-
                                                                                                                henes geschehen. Deshalb  wart  und  Zukunft  verschmel-
                                                                                                                nimmt man auch eine perfekt  zen. Dies sind zauberhafte und
                                                                                                                ausgerüstete Reiseapotheke  fantastische Reisen, die mich
                                                                                                                mit. Man hat ständig irgend-   begeistern, mich mit positiver
                                                                                                                wie Angst um sein Porte-       Energie versorgen, die mich la-
                                                                                                                monnaie  oder seine Darm-      ben und weiterbilden – Seelen-
                                                                                                                flora, aber dafür kann man im  nahrung pur und eine Lebens-
                                                                                                                Meer baden und neue Kultu-     schule für Geist und Seele.
                                                                                                                ren kennenlernen. Mir ist das
                                                                                                                irgendwie zu umständlich, zu  Und Hand aufs Herz: Am
                                                                                                                aufwändig.                     Schönsten ist es einfach Zu-
                                                                                                                                               hause. Wir leben in einem
                                                                                                                Es  beginnt schon beim Pa-     Land mit einer solch wunder-
                                                                                                                cken: Es ist nicht meine Stärke  schönen,  vielseitigen  Land-
                                                     Bild: ub                                          Bild: ub
                                                                                                                und jedes Mal das gleiche Di-  schaft. Hier gibt es auf relativ
                                                                                                                lemma: Bis zur letzten Minute  kleinem Raum so viel zu erle-
                                                                                                                schiebe ich das Packen hin-    ben. Am glücklichsten bin ich,
                                                                                                                aus. Entweder vergesse ich  wenn ich ein neues Schloss
                                                                                                                etwas, habe zu wenig dabei  entdecke, auf dem Dampf-
                                                                                                                oder das Falsche eingepackt.  schiff über den Vierwaldstät-
                                                                                                                In diesen Momenten wün-        tersee gleite, den Hausberg
                                                                                                                sche ich mir immer eine Su-    meiner kleinen Stadt durch-
                                                                                                                perkraft: Einfach alles beamen  streife, den Kühen im Emmen-
                                                                                                                zu können, was ich grad brau-  tal beim Grasen zu schaue
                                                                                                                che. Und die Anfahrt – egal,  oder meine Runden in meinem
                                                                                                                ob per Auto oder per Zug (per  geliebten Oberaargau  ziehe.
                                                                                                                Flugzeug ist schon gar keine  Was will ich noch mehr – der
                                                                                                                Option) – das ganze Bagage,  Zauber der Natur, des Lebens
                                                                                                                schleppen, prüfen, ob alles da  und der Schöpfung liegen zum
                                                                                                                ist, umsteigen, im Stau ste-   Greifen nah vor meiner Haus-
                                                                                                                hen, WC suchen etc. – rei-     türe. Ich wäre ja doof, würde
                                                                                                                sen ist ätzend – definitiv nicht  ich dieses unglaubliche Privileg
                                                                                                                mein Ding! Bei mir löst es nur  nicht voll auskosten!
                                                                                                                Gänsehaut aus. In Alaska
                                                                                                                zu  fischen,  mag  entzücken.  Herzlichst,
                                                                                                                Die Serengeti zu durchstrei-   Ihre Corinne Remund
                                                                                                                fen, mag auch erfreuen. Auf  Verlagsredaktorin
                                                                                                                den Spuren der Aborigines
                                                                                                                zu wandeln, mag auch inter-

                                                                                                Bild: © Adrian Ehrbar
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