Page 17 - Reinacher Woche - KW 22 - 2021
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DIENSTAG, 1. JUNI 2021 SEITE 17
«Gut gemeint, aber weit über das Ziel hinaus!»
Sowohl die Trinkwasser- als ziden) bei der Pestizidverbots- den Belastungen massgeblich zent gesunken – der Gebrauch
auch die Pestizidverbots-In- initiative ist auch die Hygiene reduziert. Bestehende punk- von Herbiziden sogar um 45
itiative gefährden die regio- und Lebensmittelsicherheit in tuelle Probleme wurden durch Prozent. Mit dem neuen Pes-
nale Produktion und verteu- der Nahrungsmittelherstellung die Politik bereits erkannt. Das tizidgesetz, welches das Parla-
ern regionale Lebensmittel, nicht mehr gewährleistet. Parlament hat jüngst das wohl ment im Frühling verabschie-
die Importe steigen und der strengste Pestizidgesetz Euro- det, wird der Verbrauch zusätz-
Umwelt ist nicht gedient. Ma- Was sind Ihre Hauptargumente? pas verabschiedet. lich abnehmen. Die Risiken von
tija Nuic, Kampagnenspre- Die Initiativen sind zu extrem Pflanzenschutzmittel müssen
cher IG Zukunft Pflanzen- und haben gravierende Auswir- Sie argumentieren, das Verbot bis 2027 halbiert und es sollen
schutz und Direktor Verband kungen. Sie verteuern und ver- von synthetischen Pestiziden Alternativen zum chemischen
Schweizer Gemüseproduzen- knappen das Angebot regiona- kommt einem Innovationsver- Pflanzenschutz gefördert wer-
ten VSGP, über die negativen ler Lebensmittel massiv. KMU, bot gleich. Erklären Sie das! den.
Konsequenzen für die gesamte Mittelstand und sozial benach- Innovationen, etwa im Bereich
Wirtschaft, über die Wasser- teiligte Personen bekommen der digitalen Landwirtschaft, Zum Abschluss kurz und bün-
qualität in der Schweiz und die Preissteigerungen beson- können den Einsatz von Pflan- dig: Wieso soll man am 13. Juni
das strengste Pestizidgesetz ders zu spüren. Kaffee, Bier, zenschutzmitteln reduzieren, zwei Mal Nein stimmen?
der Schweiz. Schokolade und weitere Kon- bedingen aber Investitionen in Die Pestizidverbots- und Trink-
sumgüter werden massiv teu- Bild: zVg Forschung und Entwicklung, wasser-Initiativen sind kontra-
Gegen die beiden extremen rer oder verschwinden bei der Matija Nuic, Kampagnensprecher IG die bei einer Annahme der Ini- produktiv und gefährlich. Das
Agrar-Initiativen wehren sich Annahme der Pestizidverbots- Zukunft Pflanzenschutz und Direk- tiativen kaum mehr möglich wä- Angebot an regionalen Produk-
die Landwirtschaft, die Wirt- Initiative. tor Verband Schweizer Gemüsepro- ren. Es besteht die Gefahr, dass ten würde stark sinken und
schaft, die Forscher, die Gärt- duzenten VSGP: «Die Initiativen sind neue und noch unbekannte For- die Preise massiv steigen. Food
ner und Landschaftspfleger so- Haben denn diese beiden Ag- kontraproduktiv: Sie verteuern Le- schungsansätze nicht mehr fi- Waste und Einkaufstourismus
wie Konsumentinnen und Kon- rarinitiativen, die ja unsere bensmittel, fördern Food Waste und nanziert werden. Technologie- würden spürbar zunehmen.
sumenten. Wieso dieser grosse, Umwelt und Gesundheit schüt- Einkaufstourismus und verhindern verbote lösen keine Probleme, ProduzentInnen, Konsumen-
breit abgestützte Widerstand? zen wollen, keinen Mehrwehrt Innovation beim Pflanzenschutz» führen aber zu Rückschritt und tInnen, Schweizer Lebensmit-
Matija Nuic: Die Initiativen be- für die Umwelt und Trinkwas- Wohlstandsverlust. telproduzenten und -Verarbei-
drohen nicht nur die Existenz ser? Hand aufs Herz: Wie sauber Der Bund setzt als Alternative ter, Gewerbe, Gastronomie und
von Bauern, Gemüse-, Früchte- Die Initiativen sind gut ge- sind denn unsere Böden und auf den Aktionsplan Pflanzen- KMU tragen den Schaden.
und Zierpflanzenproduzenten. meint, schiessen aber weit unser Trinkwasser wirklich, schutz. Wie soll das funktionie-
Sie verteuern auch die Pro- übers Ziel hinaus. Unter dem werden da nicht Grenzwerte ren und wieso stehen sie hinter Interview:
duktion vieler KMU und belas- Strich schaden sie der Umwelt überschritten und zu viele Pes- diesem Vorschlag? Corinne Remund
ten das Portemonnaie der Kon- sogar, weil sie zu mehr Food tizide eingesetzt? Der Einsatz von Pflanzenschutz-
sumentinnen und Konsumen- Waste führen und ökologisch Grundsätzlich ist die Wasser- mitteln ist in der konventionel- www.zukunft-pflanzenschutz.ch
ten massiv. Durch das Verbot fragwürdige Importe und Ein- qualität in der Schweiz sehr gut. len Produktion in den letzten
von Desinfektionsmitteln (Bio- kaufstourismus fördern. In den letzten Jahrzehnten wur- zehn Jahren um rund 40 Pro-
«Ein Scheitern wäre fatal!»
Gérald Strub, Grossrat FDP, mie» vor. Mit dem neuen CO2- die Gemeinden und Städte lei-
erklärt wieso es das revi- Gesetz gibt es zudem attraktive den stark unter dem Klima-
dierte CO2-Gesetzt braucht. Finanzierungslösungen, was al- wandel. Wie die meisten Län-
Für ihn ist es ein entschei- len Hausbesitzenden nützt, der hat sich die Schweiz mit
dender Schritt, damit auch welche die Mittel für die not- dem Pariser Klimaabkommen
die künftigen Generationen wendige Investition nicht auf- verpflichtet, zum weltweiten
eine lebenswerte Zukunft ha- bringen können. Dank deutlich Ziel beizutragen, die Klimaer-
ben. tieferen Energie- und Betriebs- hitzung deutlich unter 2 Grad
kosten lohnt sich der Umstieg zu halten. Wie könnten wir von
Am 13. Juni entscheiden wir an auf klimafreundliche Heizun- grossen Staaten wie der USA
der Urne über das CO2-Gesetz. gen auch finanziell. und China verlangen, dass sie
Wieso braucht die Schweiz die- ihre Verpflichtungen einhal-
ses Gesetz dringend? Was würde ein Nein zum CO2- ten, wenn wir selber nichts
Gérald Strub: Die Schweiz Gesetz für die Schweiz bedeu- tun? Wird das CO2-Gesetz ab-
braucht das CO2-Gesetz, um ten? gelehnt, delegieren wir das Kli-
überhaupt etwas in der Hand Bild: zVg Ein Scheitern wäre national fa- maproblems an unsere Kinder
zu haben, um die Folgen des Das neue CO2-Gesetz ist die Voraussetzung dafür, dass die Schweiz ihre Kli- tal und international ein ver- und Enkelkinder, was nicht fair
Klimawandels bekämpfen zu maziele erreichen kann heerendes Signal. Das neue ist. Zudem fliessen weiterhin
können. Auch die Schweiz wird CO2-Gesetz ist die Vorausset- Jahr für Jahr 8 Milliarden für
mit den Folgen der Klimaerhit- werkschaften, der Bauernver- kaputt geht und ohnehin In- zung dafür, dass die Schweiz Öl und Gasimporte ins Ausland
zung zu kämpfen haben. Daher band, der TCS und auch die vestitionen notwendig sind. ihre Klimaziele erreichen statt ins lokale Gewerbe.
ist es an der Zeit, einen effek- Berggebiete sind sich einig: Das Gesetz führt eine natio- kann. Der Schweizer Touris-
tiven und vorausschauenden Wir müssen jetzt gemeinsam nal einheitliche «Abwrackprä- mus, die Landwirtschaft und Interview: Corinne Remund
Klimaschutz anzupacken. Das handeln und das CO2-Gesetz
Gesetz eröffnet gerade auch für ist der Weg dazu. Wenn wir trö-
KMU und fürs Gewerbe in länd- deln bezahlen wir dafür einen JA zum Klimaschutz am 13. Juni
lichen Regionen viele Chan- hohen Preis und müssen unter
cen. Die Vorlage setzt auf Inno- Druck reagieren. Das lässt sich Das CO2-Gesetz gleist den Schweizer Weg für den erneuerbare Energien, Gebäudesanierungen und In-
vation und Lenkung – statt Ver- verhindern, indem wir jetzt die Klimaschutz auf. Fast alle Parteien, der Bundes- novation, schafft es Arbeitsplätze vor Ort und unter-
bote. Das ist richtig und wichtig Ärmel umkrempeln und uns rat, der Bauernverband, der TCS, die Berggebiete stützt das lokale Gewerbe, statt Jahr für Jahr 8 Mil-
für die Zukunft unseres Wirt- mit dem CO2-Gesetz auf den und grosse Teile der Wirtschaft sind für das CO2- liarden Franken für Öl- und Gasimporte ins Ausland
schaftsstandorts. Weg machen Richtung Klima- Gesetz. zu schicken.
schutz.
Die Gegner argumentieren, Das vernünftige und wirtschaftsfreundliche Gesetz Wer künftig weniger fossile Energie verbraucht, pro-
dass das CO2-Gesetzt teuer, Was würden Sie einem Rentner wird dringend gebraucht, um die Treibhausgase fitiert dank der Rückverteilung als Privatperson, Fa-
nutzlos und ungerecht ist. Wie sagen, der seine Heizung auf- wirksam zu senken. Die Landwirtschaft, der Touris- milie oder Firma. Der Klimafonds für klimascho-
sehen Sie das? grund des Gesetzes erneuern mus und unsere Wälder leiden stark unter dem Kli- nende Technologien und Innovation hilft auch, un-
Das Gesetz ist ein solider, fa- muss und sich diese Investition mawandel. Mit dem Pariser Klimaabkommen hat gerechte Folgen des Klimawandels auszugleichen.
milienfreundlicher und enorm von bis zu 80'000 Franken nicht sich deshalb auch die Schweiz dazu verpflichtet, die So sind Berggebiete, Land- und Forstwirtschaft vom
breit abgestützter Kompromiss. leisten kann? menschgemachte Klimaerwärmung unter 2 Grad zu Klimawandel besonders betroffen und werden durch
Fast alle Parteien, der Bundes- Bundesrat und Parlament ha- begrenzen. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn wir das neue CO2-Gesetz unterstützt. Das Gesetz ist so-
rat, über 160 Parlamentarie- ben mit einer Härtefallklausel jetzt gemeinsam handeln und uns mit dem CO2-Ge- zial, fair und bietet grosse Chancen.
rinnen und Parlamentarier, ge- genau an solche Fälle gedacht. setz auf den Weg machen Richtung Klimaschutz.
wichtige Teile der Schweizer Klimafreundliche Heizungen Das Gesetz arbeitet mit Lenken, nicht mit Verbieten. Weitere Informationen:
Wirtschaft, zig Organisationen kommen mit dem Gesetz zum Durch die Investitionen im Inland, zum Beispiel in www.klimaschutz-ja.ch
aus der Zivilgesellschaft, Ge- Einsatz, wenn die bestehende