Page 6 - Reinacher Woche - KW 02 - 2023
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SEITE 6 DIENSTAG, 10. JANUAR 2023
Joan Miró. Neue Horizonte
Das Zentrum Paul Klee in Bern
widmet dem wenig bekannten
Spätwerk des katalanischen
Jugend von heute Künstlers Joan Miró vom 28.
Januar bis 7. Mai 2023 eine
grosse Ausstellung. Die aus-
drucksstarken grossformati-
gen Werke zeigen eine auch für
Miró-Liebhaber/innen überra-
schend rohe Seite seines Werks
Falsch und zeichnen sich durch die
stete Suche nach neuen Aus-
abgebogen drucksformen aus.
Joan Miró ist bekannt für
seine farbigen surrealisti-
schen Traumwelten, die in den
1920er- und 1930er-Jahren
«Die heutige Jugend ist nur es unser Leben in vielen As- entstanden sind. Früh begann
noch am Handy», «Kein Wun- pekten vereinfacht. Dennoch er, die traditionelle Malerei zu
der sind deine Noten schlecht, muss es immer mit einer ge- hinterfragen. Besonders nach
wenn du immer nur am Handy wissen Skepsis betrachtet dem lang ersehnten Bezug
bist» oder «Du hast das nicht werden. Fakt ist, zurzeit wird eines eigenen grossen Ateliers
mitbekommen, weil du in die- «Social Media» einen zu ho- in Palma im Jahr 1956 erwei-
sem Moment sicher am Handy hen gesellschaftlichen und terte der katalanische Künstler
warst.» Ich glaube, jeder Ju- zeitlichen Wert beigemessen. seinen Malereibegriff auf bis-
gendliche kennt diese elterlich Wie schnell passiert es, dass her unbekannte Weise. Er revi-
stigmatisierten Aussagen. Als man im Internet falsch abbiegt dierte sein gesamtes bisheriges
ich vierzehn war und gerade und aus einer halben Stunde Schaffen, überarbeitete frühe
erst ein Handy erhalten hatte, vier Stunden «surfen» wird. Werke oder nahm die Arbeit an
wurde mein Internetkonsum Der Knackpunkt hierbei ist, unvollendeten Werken wieder Bild: Joan Ramon Bonet, Successió Miró Archive © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich
streng überwacht, jede Tas- unser Nutzen hat einen An- auf. Dieser Moment der Selbst- Joan Miró, Kopf, Vogel, 1976,Öl auf Leinwand,65 x 54 cm, Fundació Joan Miró,
tenbewegung stets kommen- fangspunkt aber kein definier- kritik und des Neuanfangs bil- Barcelona, Leihgabe aus Privatsammlung.
tiert und diskutiert. Nun habe tes Ende. Während vorherige det den Ausgangspunkt für die
ich den Eindruck, dass sich Hobbys, wie Tanzen, eine de- Ausstellung im Zentrum Paul Wechseln geprägt gewesen: Bis allen irdischen Bindungen.
die Rollen gewechselt ha- finierte Zeitspanne hatten, ist Klee. zum Ausbruch des spanischen Klee machte mir klar, dass ein
ben. Immer mehr fällt mir auf, das Handy die ganze Zeit mit Bürgerkrieges im Jahr 1936 Fleck, eine Spirale, ja sogar
wie am Tisch die Eltern ihren dabei. Die Ausstellung umfasst 74 verbrachte Miró jedes Jahr un- ein Punkt ebenso Gegenstand
Blick fast nicht vom Display Werke, vorwiegend aus den gefähr vier Monate in Paris und der Malerei sein kann wie ein
lösen können, alles stets foto- Wir, Homo sapiens, kön- späten 1960er-, den 1970er- die restliche Zeit in Spanien, in Gesicht, eine Landschaft oder
grafieren müssen mit der Be- nen Gutes nicht nur im Über- und den frühen 1980er-Jahren. Barcelona oder Montroig, wo ein Denkmal», sagte Joan Miró
gründung: «Fürs Grossi». Der fluss geniessen, sondern kos- Die Mehrheit davon stammt seine Familie ein Landhaus be- über den vierzehn Jahre äl-
Drang stets präsent zu sein, ten es so lange aus, bis es aus den Beständen der Funda- sass. Während er in Paris Kon- teren Paul Klee. Auch der
hat sich nun auch in den älte- nicht mehr existiert wie bei- ció Joan Miró, Barcelona sowie takte zur Kunstszene pflegte, Schweizer Künstler soll sich
ren Generationen etabliert. spielsweise beim Klimawan- der Fundació Pilar i Joan Miró konnte er in Spanien ohne Ab- vor seinem Bauhaus-Kollegen
del. Weshalb sollten wir auch a Mallorca und ist erstmals in lenkung konzentriert arbei- Wassily Kandinsky mit den
Familienchats haben sich zu eine Ressource begrenzt be- der Schweiz zu sehen. ten. In Paris traf er zahlreiche Worten «man muss verfolgen,
«Dokumentationsportalen» nutzen, die uns weniger Auf- Künstler/innen und Dichter/in- was der Junge macht» posi-
weiterentwickelt, in denen wand bereitet? Im Falle des Joan Miró und Paul Klee nen der surrealistischen Bewe- tiv über die Arbeit des Katala-
man den Nachrichtenfluten Klimawandels ist die Res- 1956 – im Alter von 63 Jah- gung und befreundete sich mit nen geäussert haben. Obwohl
ausgesetzt ist. Man möchte source endlich und das Inter- ren und 20 Jahre nachdem seinem Ateliernachbarn André sich die beiden nie persönlich
sich selbst und die Familie net dagegen unendlich, den- er diesen Wunsch zum ersten Masson. Dieser machte ihn auf kennenlernten, hat die Begeg-
auf «Social Media» präsen- noch lassen sich diese beiden Mal formuliert hatte – konnte das Werk Paul Klees aufmerk- nung mit Paul Klees Werk Joan
tieren. Als naive 14-Jährige Problematiken in dem As- Joan Miró sich den Traum sam. Miró nachhaltig geprägt. Beide
hätte ich diese Veränderung pekt des Wegignorierens ver- eines eigenen grossen Ateliers Künstler setzten sich beispiels-
mit Freude begrüsst und kon- gleichen. Wie Immanuel Kant erfüllen und siedelte mit sei- «Klee war die entscheidende weise mit Kinderzeichnungen
kludiert, dass mein Internet- schon im Jahre 1784 sagte, ner Familie nach Palma über. Begegnung meines Lebens. und prähistorischer Kunst aus-
konsum nicht mehr mit Ar- sind Faulheit und Feigheit die Bis dahin waren sein Leben Unter seinem Einfluss be- einander, was sich in der redu-
gusaugen beobachtet werden grössten Feinde unseres auf- und sein Schaffen von vielen freite sich meine Malerei von zierten Formensprache ihrer
würde: «Endlich sind meine geklärten Selbst. Wenn wir ei- eigenen Werke zeigt.
Eltern auch in diesem Jahr- nen Ausweg finden, dass wir
hundert angekommen.» Mit nicht selbst handeln müssen, pd
Distanz betrachtet, ist diese nehmen wir diese.
massive Erhöhung des Inter-
netkonsums mit einer grossen Um aus diesem Kreislauf aus-
Gefahr verbunden. Der Sog brechen zu können, braucht es
des Internets hat nun allmäh- den Willen zur Besserung und
lich auch die reiferen und le- das Bewusstsein, dass das ERÖFFNUNG
benserfahreneren Menschen Internet eine Gefahr mit sich
in seinen Bann gerissen. Die bringt: das Sich-selbst-Ver- Die Ausstellungseröffnung
Diskrepanz zwischen dem re- gessen. Wir müssen uns tag- findet am Freitag, 27. Ja-
alen Leben und «Social Me- täglich vor Augen führen, dass nuar 2023, ab 18 Uhr statt.
dia» wird immer schwieriger ein exzessiver Gebrauch des Der Eintritt in die Ausstel-
zu erkennen. Wir verlagern Internets nicht gesund ist und lung ist an diesem Abend
Schritt für Schritt unser gan- wir so kostbare Zeit verlieren. frei. Es sprechen: Nina
zes Leben ins Internet und Die Internetwelt ist ein Luxus Zimmer, Direktorin Kunst-
verlassen nicht mehr mal das der Modernität und dies soll museum Bern – Zentrum
Haus, um Lebensmittel ein- auch so bleiben. Wir können Paul Klee, Maria Celsa
kaufen zu gehen. Klar, unser uns damit belohnen, es ge- Nuño Garcia, Botschafterin
gesellschaftlich funktionieren- niessen, aber sollten uns auf des Königreichs Spanien,
des Zusammenleben bringt keinen Fall daran gewöhnen Marko Daniel, Direktor
Veränderungen mit sich, aber nicht ohne leben zu können. Fundació Joan Miró, Bar-
nicht jede Veränderung hält celona, Fabienne Eggelhö-
dieses Zusammenleben auf- Herzlichst fer, Chefkuratorin Zentrum
recht. Man sollte das Internet Lilly Rüdel Paul Klee.
nicht nur schlecht reden, da Bild: Francesc Català-Roca© Photographic Archive F. Català-Roca – Arxiu Històric del Col legi d'Arqui-tectes de Catalunya
Joan Miró in seinem Atelier Son Boter in Palma, 1968.